23.01.2021, 11:51
23. 12. 2020
Zahl: 13101-A/12/149-2020
Sehr geehrte Frau Wölflingseder!
Danke für Ihr e-mail vom 21.12.2020.
Es steht außer Zweifel, dass die Zustände in Lesbos entsetzlich sind und sich die Menschen dort in einer verzweifelten Situation finden. Dies trifft allerdings nicht nur in Lesbos, sondern auch auf viele andere Flüchtlingslager in Griechenland, der Türkei, dem Libanon und in anderen Ländern zu.
Die Politik und auch ich stehen dabei vor einem kaum auflösbaren Dilemma, das mich auch persönlich sehr belastet: Jeder einzelne Mensch zählt, vor allem auch jedes einzelne Kind, das aus einer verzweifelten Situation gerettet und in ein Leben mit Perspektiven gebracht werden kann.
Andererseits löst die Übernahme einiger Flüchtlinge nicht das Problem der zigtausend anderen Flüchtlinge; wenn Österreich 100, 500 oder 1.000 Flüchtlinge aufnimmt und andere europäische Länder ähnlich agierten, würden immer noch so viele andere zurückbleiben, dass deren Übernahme die europäischen Kapazitäten klar überfordern. Es stellt sich auch die Frage, nach welchen Kriterien man die Flüchtlinge auswählt, die übernommen werden und welche Form der „Asyllotterie“ und neuerlicher Ungerechtigkeit damit ausgelöst wird.
Klar ist auch: Würden die 10.000 Menschen die in Moria leben, zur Gänze durch die EU übernommen werden, würden sich in kürzester Zeit andere 10.000 in Moria einfinden; was machen wir mit diesen, was machen wir mit jenen auf Samos oder in anderen Flüchtlingslagern?
Auch mir ist bewusst, dass nicht Kinder und Frauen, sondern eine radikale Minderheit die Unterkünfte angezündet haben; ich weiß auch, dass dies ein Akt der Verzweiflung war. Wenn diese Methode aber Erfolg zeigt, dann werden bald – so wie in Samos – andere Flüchtlingslager brennen; ich darf in diesem Zusammenhang in Erinnerung rufen, dass die Löscharbeiten massiv behindert wurden und anrückende Feuerwehrfahrzeuge von gewaltbereiten Lagerbewohnern erheblich beschädigt worden sind.
Natürlich sind die Bilder von Kindern in diesem Lager aufwühlend; es ist aber eine Illusion zu glauben, dass wir 3- oder 4-Jährige als unbegleitete Flüchtlinge übernehmen können, unbegleitet sind üblicher Weise Jugendliche mit 16 Jahren und aufwärts, die zum Großteil aus Afghanistan stammen; mit dieser Gruppe haben wir – gelinde gesagt – nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Wenn man Kleinkinder holen will, dann geht dies nur, wenn man ihre Familien aufnimmt und damit auch entsprechenden Familiennachzug in Kauf nimmt.
In letzter Zeit war oft das Argument zu hören, Österreich würde sich unmenschlich und auch unchristlich verhalten; ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass alleine in diesem Jahr mehr als 3.000 positive Asylbescheide für Minderjährige erlassen wurden, ferner 2020 auch über 700 Minderjährigen neu Asyl in Österreich gewährt worden ist.
Aus all diesen Gründen hat sich die Bundesregierung entschlossen, nicht den Weg einer „Beruhigungsstrategie“ zu gehen, in dem einige wenige Flüchtlinge in Österreich übernommen werden, um die politische Diskussion zu beruhigen, sondern der Hilfe vor Ort den Vorzug zu geben: Österreich war das Land, das am schnellsten gehandelt hat und 55 Tonnen an Hilfsgütern und beheizbaren Unterkünften nach Moria gebracht hat; durch Österreichs Hilfe ist es gelungen, bewohnbare Unterkünfte für 2.000 Menschen in Moria in kürzester Zeit zu schaffen. Zudem wurden die Mittel für den Auslandskatastropheneinsatz verdoppelt.
Auch die Länder leisten ihren Beitrag; als derzeitiger Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz habe ich den Anstoß gegeben, dass von Seiten der Österreichischen Bundesländer ein Betrag von € 1,5 Mio. für die Flüchtlingshilfe aufgebracht wird, und zwar mit der Zweckwidmung der Betreuung von Flüchtlingen in allen griechischen Lagern.
Mir ist klar, dass ich mit diesen Ausführungen Ihre kritische Sicht gegenüber der Entscheidung der Bundesregierung und meiner Haltung vermutlich nicht ändern kann, mir ist aber wichtig, Ihnen darzulegen, dass ich es mir bei meiner Positionierung nicht leichtgemacht habe und den politisch wohl unangenehmeren, meines Erachtens in der Sache aber leider richtigen Weg gehen muss.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wilfried Haslauer
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Dr. Wilfried Haslauer
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