05/04/2018 à 17:13
Im Entscheid BGE 142 I 76 betreffend das gesetzliche Vorkaufsrecht im Kanton Genf hält das Bundesgericht u.a. Folgendes fest [deutsche Übersetzung gemäss Praxis 8/2017, S. 609 ff.]:
«3. Die Beschwerdeführerinnen halten dafür, dass die Gemeinde ihr gesetzliches Vorkaufsrecht unberechtigterweise ausgeübt habe. Sie rügen die Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV). Sie machen überdies eine willkürliche Anwendung von Art. 3 Abs. 1 LGL/GE geltend. Diese Rügen überschneiden sich und sind gemeinsam zu behandeln.
3.1 Die Ausübung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts über ein Grundstückdurch eine öffentliche Körperschaft stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das gemäss Art. 26 Abs. 1 BV geschützte Eigentum dar (BGE 88 I 248 E. III.1 S. 258 = Pra 52 Nr. 50; letztmals Urteil 1P.552/1998 vom 9. Februar 1999 E. 2). Um mit dieser Bestimmung übereinzustimmen, muss die Ausübung des Vorkaufsrechts auf einer formellgesetzlichen Grundlage beruhen, durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und das Verhältnismässigkeitsprinzip berücksichtigen (Art. 36 Abs. 1-3 BV; THIERRY TANQUEREL, Le droit de préemption legal des collectivites publiques, in: La maîtrise publique du sol: expropriation formelle et matérielle, préemption, contrôle du prix, Zürich 2009, S. 153 f.).
Auf gleiche Art und Weise kann die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) aus sozialpolitischen oder Gründen der öffentlichen Ordnung sowie nicht vorrangig wirtschaftlichen Interessen dienenden Massnahmen eingeschränkt werden (BGE140 I 218 E. 6.2 = Pra 2015 Nr. 1). Das öffentliche Recht kann den Abschluss von Verträgen zwischen bestimmten Personen verbieten oder im Gegenteil vorschreiben, ohne dass damit an und für sich Bundesrecht verletzt wird. Gewiss wird die Vertragsfreiheit, wie sie aus Art. 1 OR hervorgeht, durch den Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts geschützt (BGE 102 la 533 E. 10a S. 542 = Pra 66 Nr. 243). Diesem sind indessen Grenzen gesetzt (vgl. Art. 19 und 20 OR) und gewisse Beschränkungen der Vertragsfreiheit können, insbesondere im Wohnungsbereich, gerechtfertigt sein (BGE 135 I 233 E. 5.4 S. 250 = Pra 2010 Nr. 36; BGE 113 la 126 E. 8c S. 139 = Pra 77 Nr. 157).
3.2 Das Wohnungs- und Mieterschutzgesetz bezweckt, dem Staat zu erlauben, mittels Erwerb von Grundstücken, der Finanzierung von Bauprojekten und Mietzinskontrolle den Bau gemeinnütziger Wohnungen zu fördern und die Wohnungsqualität zu verbessern (Art. 1 LGL/GE). Hierzu begründet das Gesetz zu Gunsten des Kantons und der Gemeinden ein Verkaufs- und Enteignungsrecht zum Bau von gemeinnützigen Wohnungen (Art. 2 LGL/GE). Das Recht gilt hauptsächlich für Grundstücke, die sich, wie im vorliegenden Fall, in Entwicklungszonen befinden (Art. 4 LGL/GE). Gemäss Art. 4 LGL/GE muss der Eigentümer, der ein dem staatlichen Vorkaufsrecht unterstehendes Grundstück veräussert oder mit einem Kaufrecht zu veräussern verspricht, den Staatsrat und die Gemeinde unmittelbar nach der notariellen Verurkundung darüber in Kenntnis setzen; der Eigentümer und der Käufer werden angehört. Laut Art. 5LGL/GE entscheidet der Staatsrat binnen 60 Tagen, ob er auf das Vorkaufsrecht verzichtet oder das Grundstück zum Preis und den Bedingungen gemäss dem Vertrag erwerben will oder anbietet, das Grundstück zu einem Preis und zu Bedingungen zu erwerben, die er selber bestimmt. Wenn in diesem letzteren Fall das Angebot nicht angenommen wird, kann der Staatsrat das Enteignungsverfahren gemäss Art. 6 LGL/GE einleiten. Verzichtet der Staatsrat auf die Ausübung seines Vorkaufsrechts, stehen anschliessend der Gemeinde dieselben Vorrechte zu. Die Rechtsprechung hat die Verfassungsmässigkeit des in Art. 3 ff. LGL/GE vorgesehenen Vorkaufsrechts in allgemeiner Weise anerkannt (Urteil 1C_30/2008 vom 24. November 2008 E. 3.3 mit weiteren Hinweisen […]).
3.3 Das Bundesgericht prüft das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts durch ein Gemeinwesen frei (Urteil 1P.534/1991vom 11. März 1992 E. 1b). Grundsätzlich prüft es auch frei, ob diese Massnahme im öffentlichen Interesse ist und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahrt. Es auferlegt sich allerdings eine gewisse Zurückhaltung, wenn örtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen oder bloss über Ermessenfragen zu entscheiden ist (Urteil 1C_30/2008 vom 24. November 2008 E. 3.3 […]).
3.4 Die Beschwerdeführerinnen machen zunächst geltend, dass die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht nicht zum gesetzlich vorgesehenen Zweck, nämlich zum Bau gemeinnütziger Wohnungen, ausgeübt habe (Verletzung von Art. 36 Abs. 1 BV). Sie meinen, dass die Gemeinde in Umgehung des LGL/GE ein Grundstück erwerben wollte, um «ein gutes Geschäft» zu machen. Sie halten auch dafür, dass das Vorkaufsrecht keinerlei öffentlichem Interesse entspreche, da der eventuelle Bedarf einer Gemeinde, Wohnungen für den freien Markt zu erstellen, nicht in Betracht falle (Verletzung von Art. 36 Abs. 2 BV). Diese beiden Rügen gehen jedoch insoweit ineinander auf,