Abstimmungsfrage
Sollte Demokratiepolitik auf die Agenda der neuen Legislaturperiode?
Lieber Souverän,
die gesamte Staatsgewalt geht laut Grundgesetz vom Volke aus, welches sie über Wahlen und Abstimmungen ausübt. (Art. 20-2 GG); Wieso müssen wir dann vier Jahre warten, bis wir unsere Stimme wieder abgeben können? Abgeben heißt nicht, sie zu verlieren – Wir wünschen uns deshalb, dass sie auch zwischen den Bundestagswahlen von unseren Abgeordneten angefragt und gehört wird.
Hierfür wurde das Bürgerberatungsverfahren der Hausparlamente entwickelt: Abgeordnete bitten die Bevölkerung bei Schlüsselfragen um Beratung und verpflichten sich, differenziert Antwort auf die Empfehlungen der Bürger zu geben.
Die Bürgerberatung über Hausparlamente schließt die Lücke zwischen Bürgerbeteiligung und Volksabstimmung und stärkt den repräsentativen Charakter des Bundestags als Volksvertretung.
Demokratie-Innovation zum Ausprobieren
Im vorliegenden Hausparlament können Sie diese Demokratie-Innovation testen und erleben. Das Thema ist „Demokratiepolitik“. Da es sich um ein Explorationsbeispiel handelt, sind die Fragestellungen selbst entwickelt. Die erarbeiteten Ergebnisse dienen der Weiterentwicklung der Hausparlamente. Außerdem werden wir sie mit Abgeordneten des entsprechenden Bundestagsausschusses teilen und diskutieren und versuchen Einfluss auf die gegenwärtigen Beratungen der Koalitionsverhandlungen nehmen zu können, um Demokratiepolitik in der nächsten Legislatur richtig anpacken zu können. Die Teilnehmenden werden über die Ergebnisse und die Weiterentwicklung im Bundestag informiert.
Aufgesetzt worden ist dieses Hausparlament im Rahmen des Loccumer Demokratie-Labors-21 (2.-4. November) und der Abstimmung21 Kampagne durch einen Projektkurs im WS21/22 an der Universität Tübingen unter Leitung von Dr. Raban Daniel Fuhrmann.
Die Fragestellung wurde im Rahmen eines Hearings im Bundestag abgestimmt. Die Unterfragen repräsentieren die vier fokussierten Aufgabenfelder, die auch dem Demokratie-Labor in Loccum zugrunde liegen. Die Argumentationshilfen wurden von den Studenten der Universität Tübingen entwickelt.
Durch das Durchführen des Hausparlaments werden Sie Teil des Test-Teams, welches diesen Prototypen einer kontinuierlichen, niederschwelligen und effektiven Bürgerberatung für unsere Abgeordneten mit entwickeln und verbreiten hilft. Danke und uns allen ein gutes Gelingen beim Voranbringen einer lernenden Demokratie.
Fragesteller:
- Dr. Raban Daniel Fuhrmann, Akademie Lernende Demokratie
- Dr. Christopher Gohl (MdB), Weltethos-Institut Universität Tübingen
- Dr. Albert Drews, ev. Akademie Loccum
- Jörg Mitzlaff, openpetition
- Prof. Dr. Arne Pautsch, Verwaltungshochschule Ludwigsburg
Fragestellung:
Die Wahl ist gelaufen, die Stimmen sind abgegeben, die neue Regierung bildet sich. Doch wie steht es wirklich um die Demokratie in Deutschland? Allgemein ist ein Vertrauensverlust in die politischen Institutionen und die handelnden Akteure zu konstatieren. Dies zeigt sich an den verstärkten Debatten um Partizipation, Repräsentation und Zweifeln an der Handlungsfähigkeit in Anbetracht der größer werdenden globalen Herausforderungen oder auch der Pandemie-Politik. Unser Staat (Politik und Verwaltung) wirkt überfordert darin, Krisen rechtzeitig erkennen und nachhaltig meistern zu können und kultiviert so einen Nährboden für Frust. Zunehmende Abwendung von Demokratie und Rechtsstaat und eine wachsende Radikalisierung sind die Folge.
Deshalb braucht es das Politikfeld der Demokratiepolitik! Denn es gibt zwar bereits zig Politikfelder für alle möglichen Problembereiche, aber (noch) keines, das sich um die Voraussetzung kümmert, dass all dies gut gelingen kann. Demokratiepolitik ist also jene Politik die sich darum kümmert, dass wir gemeinsam, als Staat, Gesellschaft und Wirtschaft Probleme besser erkennen und lösen lernen. Daher ist unsere Frage in diesem Hausparlament an Sie als Souverän:
Für wie wichtig erachten Sie es, dass Demokratiepolitik in der neuen Legislaturperiode oben auf der politischen Agenda steht?
Hintergrund
Noch ist Demokratiepolitik ein wenig verbreiteter und schillernder Begriff. Darum im Folgenden eine kurze Erläuterung und Herleitung der vier Themenschwerpunkte dieses Hausparlaments: WOZU? >>DEMOKRATIEPOLITIK MACHT UNS FIT FÜR TRANSFORMATIONEN<< Damit ein Gemeinwesen frühzeitig seine Herausforderungen erkennt, zügig gemeinsam Lösungen erarbeitet und nachhaltig Krisen meistert, braucht es Demokratiepolitik. Demokratiepolitik dient dem Zweck, gemeinsam die erforderlichen Transformationen bewältigen zu können. Sie sorgt dafür, dass uns Zuversicht erfüllt, wenn wir an Politik, Demokratie und Verwaltung denken. WIE? >>DIE AGENDE FÜR MODERNE DEMOKRATIEPOLITIK<< Ziel ist es eine kontinuierliche Verbesserungskultur in unserer Demokratie zu etablieren. Das intersektorale und föderale Zusammenwirken über Strömungen und Parteien, Milieus und Sektoren, föderalen Ebenen und Institutionen hinweg soll laufend modernisiert werden. Denn Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfordern politische Instrumente des 21. Jahrhunderts. WAS? >>KÜMMERN UM DEMOKRATIE UND DEMOKRATEN<< Demokratiepolitik muss dazu ein eigenständiges, mandatiertes und finanziertes Meta-Politikfeld werden. Denn es kümmert sich um die Voraussetzungen des Gelingens aller anderer Politikfelder. Dabei steht Demokratiepolitik auf zwei Beinen: >> 1. - Einerseits kümmert sich Demokratiepolitik um die Akteure der Demokratie – z.B. um Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, ehrenamtlich Engagierte usw. – (ÖFFENTLICHE PERSONALENTWICKLUNG). >> 2. - Andererseits dreht sie sich um jene Prozesse und Institutionen, durch die diese Akteure zusammenwirken (AGILE DEMOOKRATIEENTWICKLUNG). Die vier Agendafelder des Hausparlaments decken dabei zwei Kernfelder aus der Demokratieentwicklung (Kümmern um die Prozesse; Agendarunde 1 und 2) und zwei aus dem der öffentlichen Personalentwicklung (Kümmern um das Personal; Agendarunde 3 und 4) ab. Nachdem Sie diese vier exemplarischen Handlungsfelder einer innovativen Demokratiepolitik bearbeitet und diskutiert haben, verfügen Sie über ein gutes Fundament, um in der Abschlußfrage Ihre Gesamteinschätzung besser bemessen zu können.
Teilfragen
1. Wie sehr benötigen wir in den nächsten vier Jahren tiefergehende Reformen in der Arbeits- und Funktionsweise des bestehenden politisch-administrativen Systems (Politik und Verwaltung)?
Hintergrund: REFORM UNSERER REPRÄSENTATIVEN DEMOKRATIE UND ÖFFENTLICHEN VERWALTUNG:
Naheliegend beginnt Demokratiepolitik mit dem Ziel, das gegenwärtige politisch-administrative System – also dem Zusammenspiel von Politik und Verwaltung, legitimiert durch Wahlen und getragen von Parteien - kontinuierlich zu verbessern. In Agendarunde 1 stellen sich also Fragen nach der Überprüfung und Entwicklung der bestehenden Arbeits- und Funktionsweise von Politik und Verwaltung. Forderungen nach vermehrter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, einem Ausbau von Beteiligung oder einer Stärkung direktdemokratischer Prinzipien (Volksabstimmungen) spielen hier noch keine Rolle.
Schlüsselthemen sind Fragen nach dem Ob und Wie einer Wahlreform (z.B. Bundestagsgröße, 5%-Hürde, Nichtwähler, e-Voting ...), Parlamentsreform (z.B. Diäten, Präsenz, Transparenz, Umgang mit AfD ...), Parteienreform (z.B. Transparenz, Urwahlen, Basisbeteiligung ...) oder einer Verwaltungsreform (z.B. Verantwortungsübernahme, Zuverlässigkeit, Krisenfitness, Digitalisierung, Transparenz, Open Government ...).
Denn Beteiligung von unten hilft nur dann, wenn sowohl die Parlamente und Regierungen oben, wie auch Verwaltungen und Parteien in der Mitte in einem Setting arbeiten können, das möglichst gute Voraussetzungen schafft. Eine Staatsquote von fast 50 % und ausufernde Regulierungen machen ein kontinuierliches Verbessern und Modernisieren unseres Staates auf allen Ebenen zur grundlegenden Forderung, um demokratisch den Aufbruch, akute und zukünftige Krisen und schließlich die große Transformation meistern zu können.
Pro
Wir brauchen weitere Nachbesserungen unserer Parlamente, Organe und Ministerien. So weit sind sich die allermeisten einig. Welche Verbesserungen wie sinnvoll sind, wo es sie bedarf und wieso, da scheiden sich die Geister. Wichtig deshalb: Eine eigene Stelle, die sich nur darum kümmert! Es darf nicht weiter unsichtbar in den großen Häusern vor sich hin gewerkelt werden. So holen wir keine Reformen nach, sondern werden sie weiter verschieben und verschlafen. Es ist deshalb wichtig Expertise und Sachverstand in Demokratiepflege einen eigenen Stab und Ressourcen zu geben.
Wenn wir Demokratie nicht nur als Thema aus dem Gemeinschaftsunterricht kennenlernen wollen, sondern leben, dann müssen wir nach ihr sehen. Das machen die demokratischen Organe – Ministerien, Ämter, Parlamente, usw. – zur Zeit in Eigenregie. Und wir sehen: Die BürgerInnen haben selten auch nur eine Ahnung von Umfang oder Aufgabengebieten der öffentlichen Einrichtungen bei ihnen um die Ecke. Dabei entstehen viele Ideen und Lösungen, die dringend gebraucht werden, in Reihen der BürgerInnen! Erreichen sie die Beamten? Selten bis gar nicht. Um die Lebensrealität hineinzutragen und die demokratische Anteilnahme aller zu ermöglichen, wo sie organisiert und abgebildet wird - im Staat - brauchen wir mehr Demokratiepolitik!
Kannst Du mir sagen was Windrädern im Weg steht? Wieso Kommunen Fahrradwege über Jahre planen müssen? Wieso jede zweite große Stadt eine Dauerbaustelle ist? Beamte des Umweltministeriums (?!) und die, die für Bauvorhaben zuständig sind, können das genau erklären. So genau, dass man meinen könnte, es sei nicht zu ändern. Ist es aber! Wenn wir die guten Grundlagen nutzen, die wir als Gesellschaft aufgebaut und perfektioniert haben, sind wir übermorgen klimaneutral, samt gutem Lebensstandard und mehr. Doch um verkrustete Bürokratien zu ändern und Initiative zu ermöglichen müssen wir nach unserer Demokratie sehen, sie pflegen. Dafür also!
Contra
Leben wir nicht ziemlich gut? Unser Zusammenleben funktioniert so lang gut, wie wir es frei und heftig kritisieren können, ohne Angst vor Strafen zu befürchten. Muss deshalb alles kritisiert werden? Unsere Institutionen und Systeme, um dieses schöne Leben zu ermöglichen, sind sehr komplex geworden. Mehr Gesetzestexte als alle anderen Länder der Welt zusammen! Ja und? Bei uns ist deshalb auch alles perfekt geregelt. Wie Zahnräder greifen die kleinsten Verordnungen ineinander und ergeben ein großartiges Gesamtbild. Wer misst sich da an, alles reformieren zu können? Dadurch wird es, das zeigte sich oft, nur noch komplizierter. Dann aber grundlos.
Demokratiepflege, das klingt nach Badetag für Abgeordnete. Wenn wir ehrlich sind, wollen da bestimmt nur Einzelne viel reden können, um gut dafür bezahlt zu werden. Unsere Demokratie läuft doch? Wir haben schon jetzt zu viele Kommissionen, Ausschüsse und Ministerien für gar jedes Thema. Noch eins dazu? Eines, das sich um die Sauberkeit der anderen kümmern will? Das brauchen wir nicht. Gewissenhafte Langweiler und Spießer, die fließend Bürokratendeutsch sprechen, die kümmern sich um unsere ausgefeilte Demokratie. Nicht perfekt, klar. Aber bei einem so großen Land kann das auch niemand ernsthaft verlangen.
Veränderung und Rebellion, aber im System? Schöne Idee, aber viel zu wenig. Die Zuständigen ‚reformeln‘ und basteln sowieso unermüdlich an sich, ihren Posten und Institutionen herum. Dafür noch mehr Leute einstellen, die dazu kommen, um mit zu basteln? Das wird unsere maroden Straßen, kaputten Schulen und fehlenden Anschlüsse nicht bessern. Wir brauchen Veränderungen im ganz Großen. Mutige, entschiedene Neuausrichtungen. Demokratiepflege im System, als Basteln am Schrotthaufen, Nein Danke!
2. Sollten in den nächsten vier Jahren verbindliche Formen der deliberativen und direkten Demokratie auf Bundesebene eingeführt und verankert werden?
Hintergrund: ERGÄNZUNG IM BEREICH DIREKTE UND DELIBERATIVE DEMOKRATIE:
Hier geht es um die Frage, ob und inwieweit zusätzliche, ergänzende Möglichkeiten der deliberativen und direkten Demokratie auch auf Bundesebene eingeführt und ausgebaut werden sollen.
Mit der Forderung nach deliberativer Demokratie sind Bürgerbeteiligungsverfahren gemeint, die zur Beratung des Bundestages und/oder der Bundesregierung dienen. Diese können sowohl von unten aus der Zivilgesellschaft als auch von oben vom Bundestag/Bundesregierung initiiert werden. Aktuell wird zum Beispiel ein per Zufallswahl zusammengesetzter Bürgerrat erprobt, der Regierung und Parlament bei Zukunftsthemen beratend zur Seite steht. Darüber hinaus gibt es sehr viel mehr solcher Beteiligungs- und Beratungsverfahren – unter anderem auch digitale und hybride, also kostengünstige, niederschwellige und zeitnah-Empfehlungen-liefernde; so wie die Hausparlamente.
Neben den deliberativen, Empfehlungen-abgebenden Formen, werden auch Verfahren der Volksgesetzgebung gefordert. In der Schweiz sind Volksabstimmung und verbindliche, wie auch fakultative Referenden auf Bundesebene selbstverständlich. Auch in der EU gibt es derartige Verfahren. In Deutschland ist diese Form der Teilhabe nur zwischen kommunaler und Landesebene möglich – auf Bundesebene jedoch Fehlanzeige.
Durch eine Kombination aus repräsentativer, deliberativer und direkter Demokratie soll eine intensive, zielführende und vertrauensstiftende Zusammenarbeit von Bürgerschaft und Politik/Verwaltung auch zwischen den Wahlen erreicht werden. Große Themen mit Sprengkraft könnten so umfassender, gemeinsamer und abschließender angegangen, beraten und entschieden werden. Das Parlament würde entlastet und gestärkt, das Zutrauen in unser demokratisches System wieder wachsen, Konflikte und Spaltungen besser befriedet werden. …..So die Befürworter: Doch was meinen und empfehlen Sie?
Pro
Die größere Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen als solche könnte bereits dazu beitragen, die politische Bildung und Kultur in der Breite der Bevölkerung zu verbessern. Das gemeinsame Abwägen, Beratschlagen und Verständigen über gemeinschaftliche Themen stärkt die intellektuelle Kapazität der Diskutanten und den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt. Integration in, Verständnis für und Identifikation mit unserer Demokratie werden gestärkt.
Beteiligung kann die (empfundene) Legitimität der getroffenen Entscheidungen erhöhen, da sie dann enger an die im Diskurs zustande gekommenen Meinungen angebunden sind. Alle potentiell Betroffenen können zu Wort kommen und sich am Entscheidungsprozess beteiligen. Etwaige Kritiker können von neuen Regelungen überzeugt werden. Auch wenn kein kompletter Konsens hergestellt werden kann, werden Entscheidungen besser verstanden und akzeptiert – die „Compliance“ erhöht sich.
Auch die Qualität der Entscheidungen könnte durch mehr Beteiligte am Abwägungsprozess steigen. Man macht sich die Expertise und den Erfahrungsschatz der gesamten Bevölkerung zunutze. Öffentliche Beratungen oder Abstimmungen zu Sachfragen dienen als weitere Qualitätskontrollinstanz und weiten das „Mehr-Augen-Prinzip“ auf die interessierte Öffentlichkeit aus. Schließlich werden bei Beteiligungsverfahren wie Bürgerräten und Planungszellen auch gezielt die erforderliche Expertise mit eingebunden. Es wird also sachkundig entschieden.
Contra
Die Beibehaltung einer repräsentativen Demokratie ist eine bewusste Entscheidung, da sie im Gegensatz zu Konzepten deliberativer und direkter Demokratie als weniger anfällig für Demagogie, Populismus und opportunistische Entscheidungen gilt. Die Sorge, dass radikale, ausländerfeindliche Forderungen gewinnen ist ernst zu nehmen. Der Fokus auf repräsentative Formen der Demokratie mildert über seine Zwischeninstanzen solchen „Volkszorn“ ab.
Das Ideal der maximalen Teilhabe könnte außerdem in der Umsetzung aufgrund des notwendigen Zeit- und Ressourcenaufwands scheitern. Von über 80 Millionen Bundesbürgern sollten jedenfalls die rund 60 Millionen Wahlberechtigten am Diskurs teilnehmen können; hierfür muss die Öffentlichkeit im großen Maßstab mit den notwendigen Informationen versorgt und der Meinungsbildungsprozess institutionell unterstützt werden. Diese Prozesse sind nicht nur teuer, sondern verlängern auch die Zeit bis zur finalen Entscheidungsfindung.
Da der Diskurs vor entsprechenden öffentlichen Beratungsrunden oder Volksabstimmungen auch über die Medien in die Öffentlichkeit getragen werden wird, muss einkalkuliert werden, dass die Kommunikation der notwendigen Informationen systematisch verzerrt sein könnte; die involvierten Medien sind ihrerseits „Produkt“, das verkauft werden muss und stehen potenziell den wirtschaftlichen und politischen Machthabern nahe. Daher kann im Einzelfall nicht gewährleistet werden, dass der Bürger zu einem objektiven Urteil befähigt werden kann.
3. Wie wichtig ist es, dass in den nächsten vier Jahren das Agendafeld „Demokratischer Nachwuchs – Ehrenamt, Engagement, Diversität“ gezielt und umfassend angegangen wird?
Hintergrund: ÖFFENTLICHE PERSONALENTWICKLUNG MIT FOKUS AUF DEMOKRATISCHEN NACHWUCHS - EHRENAMT; ENGAGEMENT; DIVERSITÄT:
Adenauer meinte vor 60 Jahren noch „Kinder kriegen die Leute eh.“ Gleichermaßen denken auch heute noch viele Politiker im Sinne von „Engagieren tun sich die Leute eh.“ - Wirklich?
Wie ausreichend und zuverlässig, divers und repräsentativ ist die Bereitschaft zum Engagement, in unserem Fall dem Politischen, wirklich? Bekommen beispielsweise Parteien noch genug guten Nachwuchs z.B. für ihre Wahllisten bei Kommunalwahlen? Wie gut ist Rats- und Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf vereinbar? Ist die Arbeit für das Gemeinwohl in Behörden und Verwaltungen auch in Zukunft attraktiv für die Besten ? Und wie nachhaltig sind die Arbeitsbedingungen eines Berufspolitikers?
Kurz, kümmern wir uns genug um unseren Nachwuchs in Ehren- und Hauptamt für die Zivilgesellschaft, Parteien, Parlamente und Verwaltung? Oder brauchen wir vielleicht gerade hier eine gezielte öffentliche Personalentwicklung für unser demokratisches Personal?
Pro
EHRENAMT ALS LEISTUNGSTRÄGER ÖFFENTLICHER DASEINSVORSORGE:
Wenn man betrachtet, was Vereine (Freiwillige Feuerwehr, DRK, ASB, Wasserwacht, Wald- und Forstverein, Verkehrsverein, Mütterverein, Musikverein etc.) besonders im ländlichen Raum leisten, offenbart sich das Ehrenamt als einer der bedeutendsten Leistungsträger öffentlicher Daseinsvorsorge und Grundpfeiler der Demokratie. Vereine leisten einen Mehrwert an Kultur und Bildung, Zusammenhalt, Freizeitgestaltung und Versorgung. Je weniger Personen insgesamt aktiv sind, desto mehr bleibt an den Aktiven hängen. Deshalb hilft jedes weitere Mitglied dabei, die Last auf vielen Schultern zu verteilen – ein klares Argument für die Weiterentwicklung der Nachwuchsförderung.
ANPASSUNG DER RAHMENBEDINGUNGEN.
Besonders in der Kommunal- und Landespolitik, wie z.B. in Stadt- und Gemeinderäten, setzt man, bis auf geringe Aufwandspauschalen, auf ehrenamtliches Engagement statt auf Vollzeitkräfte. Das Ehrenamt erfordert regelmäßig Zeit und Einsatz, die Sitzungen finden meist abends statt. Zudem sind bezahlte Freistellungen für politisches Engagement, im Gegensatz zu Einsätzen in der Feuerwehr, oft nicht geduldet. Für politikinteressierte junge Menschen, die sich gerade im Berufsleben etablieren oder eine Familie gründen ist die Hürde bspw. in einen Stadtrat einzutreten deshalb oft zu hoch. Stärkere Bemühungen zur Umgestaltung der Rahmenbedingungen hin zu mehr Vereinbarkeit von Ehrenamt und Privatleben/Beruf würden bürgerliches Engagement attraktiver machen und auch jüngeren Menschen Partizipation ermöglichen.
VEREINE ALS ABBILD VON GESELLSCHAFT UND DEMOKRATIE :
Vereine, Verbände und Räte (z.B. Stadt- und Gemeinderäte) sind ein Abbild der Gesellschaft und durch demokratische Strukturen (z.B. regelmäßige Versammlungen) auch ein Abbild der Demokratie. Vor Ort unterstützen sie die Daseinsvorsorge und sorgen für ein lebenswertes Gemeinwesen. Sie müssen sie in der Lage sein, lokale Interessen abzubilden, was nur gewährleistet ist, wenn sie divers aufgestellt sind. Frauen, (alleinerziehende) Mütter, LGBTQ*+, unterschiedliche Religionen und Bildungsgruppen, etc. sind bisher unterrepräsentiert, sodass bei der Nachwuchsförderung nicht nur pauschal jüngere, sondern auch diversere Personengruppen direkter angesprochen werden sollten. In Zeiten hoher Wählerfluktuation und schwindenden Vertrauens in die Politik ist dies ein Ansatzpunkt, um wieder mehr Bürger für die Demokratie als Lebensform begeistern zu können.
Contra
AUSREICHEND FÖRDERPROGRAMME VORHANDEN:
Es wird bereits mehr als genug in diesem Bereich getan. Politische Bildung und Engagementförderung beginnt bereits vielerorts im Kindergarten und Schulen. Landes- und Bundeszentralen für politische Bildung fördern vielfach. Auch Parteien und Stiftungen haben bereits umfangreiche Programme. Allein das Interesse ist gering. Noch mehr würde eher abschrecken. Gerade ein noch stärkerer Fokus auf die Förderung der Jugend birgt die Gefahr, dass sich andere für die Kommunalpolitik relevante Gruppen, wie Rentner oder Arbeiter mittleren Alters, zurückziehen.
DIVERSITÄT NIICHT ERZWINGBAR.
Diversität und ehrenamtliche Tätigkeit an sich sind nicht erzwingbar. Die Vielfalt an Vereinen, Gremien und Verbänden beinhaltet auch, dass diese nicht für jede Personengruppe attraktiv sind. Beispielsweise würden wohl auch stärkere Bemühungen in der Nachwuchsförderung eine junge Syrerin der LGBTQ*+ Bewegung nicht zum Eintritt in einen Trachtenverein bewegen und auch eine Frauenquote bei der Feuerwehr würde junge Mütter (z.B. aufgrund nächtlicher Einsätze) vermutlich nicht verstärkt zur Partizipation anregen. Ein alternativer Ansatz zu ehrenamtlicher Tätigkeit wäre z.B. ein verpflichtender Gemeinwohldienst. Doch wollen wir dies wirklich?
TEILWEISE PROFESSIONALISIERUNG DER ÖFFENTLICHEN DASEINSVORSORGE :
Anstatt sich auf den Ausbau ehrenamtlichen Engagements zu konzentrieren, sollte eine weitere Professionalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge (Feuerwehr, DRK etc.) angestrebt werden, um eine weitere Abwälzung auf die Vereine zu vermeiden. Somit erreichen wir, dass diese auch weiterhin das leisten können, was sie aktuell tun. Auch im Politischen sollten wir eine stärkere Professionalisierung z.B. durch höhere Entlohnung auch im Gemeinde- und Stadtrat anstreben. Ehrenamt ist ein Modell der Vergangenheit und das ist auch gut so.
Ergänzungen aus den Treffen
Nicht nur unten in der Bevölkerung, sondern sich noch mehr um die Profis oben in Politik und Verwaltung kümmern. Verpflichtende Fortbildungen in Führung, Ethik und Beteiligung auch gerade für die Mächtigen.
Der Parteinachwuchs radikalisiert sich immer mehr ... dadurch entfremdet sich diese immer weiter von moderaten Regierungsvertretern der Partei.
4. Wie sehr soll unsere demokratische Kommunikations- und Debattenkultur in den Fokus der neuen Regierung rücken?
Hintergrund: STÄRKUNG DER DEMOKRATISCHEN KOMMUNIKATIONS- UND DEBATTENKULTUR:
Unsere Demokratie lebt von Voraussetzungen, um die wir uns laufend kümmern müssen, nämlich die Art und Weise wie wir in ihr miteinander, auch mit Andersdenkenden, umgehen. Eine tolerante und resiliente Kommunikationskultur ist essentiell, baut doch Demokratie auf einer fundierten, differenzierten und verantwortungsvollen Information, Kommunikation und Konsultation auf. Wie will man sich sonst eine Meinung bilden, gemeinsam abwägen und Entscheidungen treffen?
Die zunehmende Digitalisierung von Meinungsbildung und Entscheidungsfindung stellt jedoch eine grundsätzliche und neuartige Herausforderung dar. Hetze und Verschwörungshypes, Fake-News und Trolling, Manipulation und Unterwanderung werden dadurch befördert. Wie kann eine offene Demokratie gegen diese Anfeindungen wehrhaft gemacht werden? Wie kann eine demokratieförderliche Regulierung sozialer Medien gelingen? Wie kann eine „produktiv streitende Öffentlichkeit“ kultiviert werden? Diesen und anderen Fragen zur Gefährdung und Stärkung unserer demokratischen Kommunikationskultur sollte sich Demokratiepolitik auch widmen. Denn was helfen alle großartigen Beteiligungsprozesse, wenn die Beteiligungskultur vor die Hunde geht?
Wie steht es darum um die Kommunikations-, Engagement- und Fehlerkultur unserer Demokratie? Tun wir das Richtige dafür?
Pro
Diese Frage ist vielleicht sogar die Wichtigste für das demokratiepolitische Anliegen der öffentlichen Personalentwicklung, denn das Grundpersonal einer Demokratie sind letztlich wir alle! Je engagierter und konstruktiver wir uns darum am öffentlichen Diskurs beteiligen, um so besser für unsere Demokratie. Mehr Beteiligung wirkt dabei Radikalisierung vor.
Social Media befördert Desinformation, Polarisierung und Radikalisierung. Die Manipulationsgefahr durch KI, Bots und Trolle untergräbt zudem das Vertrauen in demokratische Institutionen. Darum müssen Social-Media-Kanäle stärker in die demokratische Verantwortung genommen werden.
Respekt und Toleranz gegenüber anderen Standpunkten sowie fremden Hintergründen lernt man am besten, wenn man gezwungen ist sein Blase zu verlassen. Es ist darum gut, wenn durch alltägliche Formen der Begegnung, mittels Beteiligungs- und Engagementförderung dies schon von klein auf erlebt wird.
Contra
Demokratie lebt nicht nur vom Diskurs, sondern auch vom Streit. Meinungsfreiheit beinhaltet eben auch dass man sich irren kann, Vorurteile anhängt und extreme Positionen einnimmt … gerne auch mal lautstark und heftig. Dass so viel über unsere Debattenkultur geklagt wird, ist darum eher ein Zeichen, wie weinerlich und verweichlicht unsere Demokratie geworden ist.
Internet und Social-Media sind zuerst ein Gewinn für eine vielfältige Demokratie. Jeder kann sich einfach allen. Nähe zur Bevölkerung kann sich nicht nur einfach über alles möglich selbst ein Bild machen, sondern auch selber seine Sicht teilen und mit vielen anderen sich darüber austauschen. Eine Zensur der freien Meinung darf nicht stattfinden.
Niemand sollte gezwungen werden sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen zu müssen. Eine demokratische Debattenkultur muss freiwillig entstehen. Wir dürfen Menschen auch nicht überfordern, sonst verhärten sich die Fronten noch mehr.